Was mir so durch den Kopf geht

Wie fühlt sich ein Zusammenbruch an?

Ich habe ja schon mehrfach erwähnt, dass sich nach meinem Zusammenbruch für mich so einiges verändert hat. Hin und wieder werde ich dann gefragt, wie man sich so einen Zusammenbruch vorstellen muss bzw. wie sich das anfühlt. Das ist wirklich nur sehr schwer zu vermitteln, aber ich möchte es gerne hier einmal versuchen:

Hinweis 1: Dies soll keine Anleitung zur Selbstdiagnose sein, sondern ich möchte nur über meine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse berichten.

Hinweis 2: Es gibt nicht “den” Zusammenbruch, das ist etwas ganz Individuelles, was jeder Betroffene auf seine eigene Art und Weise erlebt. Bei vielen Dingen gibt es Parallelen, aber auch große Unterschiede.

Über welche Art Zusammenbruch rede ich?
Ich spreche/schreibe hier über meinen BurnOut, die totale körperliche und psychische Erschöpfung. Dabei ist ein BurnOut strenggenommen keine eigenständige Erkrankung, sondern eher ein Symptom bzw. ein Bestandteil einer Depression, von der es auch verschiedene Formen und Ausprägungen gibt.

Wie macht sich das bemerkbar?
Genau das ist der große Knackpunkt. Den eigentlichen, finalen Zusammenbruch habe ich erst gemerkt, als es bereits zu spät war. Wie genau, steht weiter unten.
Aber es gibt schon eine lange Zeit vorher Anzeichen. Dinge, die sich ganz langsam einschleichen und mit der Zeit irgendwie zum Alltag gehören. Ich habe das, wie viele andere auch, erst hinterher erkannt. Vieles habe ich zwar schon vorher bemerkt, aber immer irgendeine Erklärung/Ausrede dafür gefunden und es nicht weiter beachtet. Aber von Anfang an:

Die Grundstimmung:
Ich erkläre das gerne mit einem wirklich richtig schlechtem Tag:
Schlecht geschlafen, Kopfschmerzen, der Wecker hat nicht geklingelt, die Zahnpasta ist alle, die Lieblings-Kaffeetasse geht zu Bruch, beim Schuhe zubinden reißt der Schnürsenkel, den Bus verpasst bzw. das Auto springt nicht an, zu spät bei der Arbeit, Kollegen krank, Standpauke vom Chef, die Arbeit von anderen miterledigen müssen, andauernd wird man gestört, nichts läuft glatt, Lärm, Unruhe, Streit, noch ein Zahnarzttermin nach der Arbeit, den Einkauf muss man auch noch erledigen, im Briefkasten eine unerwartete hohe Rechnung, Streit zu Hause, die bestellte Pizza kommt nicht nur zu spät und ist kalt, sondern auch noch total verkehrt, die Waschmaschine geht kaputt, das TV-Programm taugt nichts, schlechte Nachrichten von der Familie bzw. Freunden, usw.
Dann hockst du da Abends auf dem Sofa und bist fix und fertig, willst von Nichts und niemandem etwas mehr wissen und könntest einfach nur noch heulen.

Ich denke, solche Tage hat jeder schon erlebt und weiß, wie sich das anfühlt. Das ist nicht schön, kommt aber durchaus mal vor und ist auch vollkommen ok. Aber diese Stimmung und dieses Gefühl, wenn man Abends völlig fertig auf dem Sofa sitzt, schon Morgens beim Aufwachen zu haben, ist schon etwas anderes. Besonders, wenn es immer häufiger so ist und zum Standard wird.
Aber dabei bleibt es leider nicht und es gesellen sich andere Dinge dazu:

Nachlassende Interessen:
Wenn man sich schon so fix und fertig fühl und geschafft ist, ist es dann auch kein Wunder, wenn man nach und nach das Interesse an Dingen verliert, an denen man sonst Freude gehabt hat. Z.B. Hobbys, mit Freunden etwas unternehmen, Ausflüge mit der Familie, Bücher, eine Sammlung, usw.
Das ist nicht alles schlagartig weg – jedenfalls war es bei mir nicht so, aber nach und nach verschiebt man Dinge, sagt Treffen ab, ruht sich lieber aus. Irgendwann bleiben erste Dinge ganz unbeachtet und es werden im Laufe der Zeit immer mehr, bis man so ziemlich alles aufgegeben hat.

Viele Gedanken / nicht abschalten können:
Natürlich denkt man ständig über etwas nach, aber irgendwann fangen die Gedanken an in eine bestimmte Richtung zu gehen: ins Negative. Man denkt an all die Dinge, die man nicht geschafft hat, alles, was man eigentlich noch hätte tun müssen, hinterfragt sich selber und gibt sich selber die Schuld an allem. “Ich bin nicht gut genug.”, “Ich muss mich mehr anstrengen.”, “Was wird wohl XY sagen, weil dies und das nicht fertig ist?”, “Warum habe ich das nicht geschafft.”, usw. Es entsteht ein Gedankenkarussell, das einen nicht mehr loslässt. Ständiges Nachdenken im Kreis, immer und immer wieder. Man kommt vor lauter Denken nicht mehr zur Ruhe und viel zu oft auch nicht mehr in den Schlaf.

Schlafstörungen:
Es ist ja nicht nur das viel zu lange Wachliegen, weil man soviel nachdenkt. Dazu wird der Schlaf selber unruhiger und schlechter. Bei mir ist irgendwann sogar der komplette Schlafrhythmus gekippt – ich wurde von einem Langschläfer zu einem Frühaufsteher. Die Augen gingen einfach früh um 5 auf. Besser und eher einschlafen konnte ich deswegen trotzdem nicht. Wie ausgeruht ich dann Morgens war, kann man sich wohl denken.

Konzentrationsstörungen:
Ist es verwunderlich, wenn man schlecht schläft, dass die Konzentrationsfähigkeit nachlässt? Ich denke nicht. Und sich konzentrieren kostet nun mal Kraft. Natürlich habe ich zugesehen, dass ich es schaffe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren – aber mehr habe ich auch dann nicht geschafft. Das Lesen, z.B., was ich immer sehr gerne getan habe, ging plötzlich nicht mehr. Ich habe es nicht mehr geschafft, mich darauf zu konzentrieren. Mal eine Seite, mal zwei, oftmals aber auch nicht mehr als ein paar Sätze. Also habe ich das Lesen irgendwann aufgegeben.
Ich war teilweise so neben der Spur, dass ich z.B. ernsthaft darüber nachdenken musste, ob beim Brote schmieren, erst die Butter oder erst der Belag aufs Brot gehört.

Emotionen:
Ich war eigentlich schon immer ein sehr emotionaler Mensch, aber das hat irgendwann angefangen Formen anzunehmen, da kann ich im Nachhinein nur mit dem Kopf schüttel. Zum Beispiel, wenn mir im Twitter-Feed ein Beitrag gezeigt wurde, in dem jemand berichtet, dass sein Haustier über die Regenbogenbrücke gegangen ist. Natürlich ist das traurig und es tut mir leid. Aber das ging bei mir so weit, dass ich stundenlang deswegen geheult habe, obwohl ich weder Tier noch Besitzer gekannt habe.
Oder ich habe mich über Kleinigkeiten und Nichtigkeiten so dermaßen aufgeregt, dass mein Blutdruck jenseits von Gut und Böse war und mir schwindelig wurde.

Von Kleinigkeiten aus der Bahn geworfen:
Wenn wir schon bei Kleinigkeiten und Emotionen sind. Es gibt Dinge, die passieren halt, sind aber nicht wirklich schlimm. Normalerweise ärgere ich mich kurz darüber und tue es dann mit einem Schulterzucken ab. Aber irgendwann ist auch das bei mir ausgeartet. Ich erinnere mich an eine Pizza, die ich mit zu viel Schwung in den Ofen geschoben habe und die dann als Matsch-Haufen auf dem Boden des Ofens geklebt hat. Das hat mich so fertig gemacht. Nicht unbedingt, dass mir das passiert ist, aber ich hatte mich so auf diese Pizza gefreut, dass ich über den “Verlust” so traurig war, dass ich stundenlang deswegen aus tiefstem Herzen geheult habe.
Das war übrigens das Erlebnis, wo ich mir das erste Mal gedacht habe, dass etwas nicht in Ordnung mit mir ist. Aber am nächsten Morgen war das mehr oder weniger vergessen und ich habe es nicht weiter verfolgt.

Ausreden suchen:
Ja, irgendwann habe ich gewisse Veränderungen wahrgenommen, auch weil mich andere Menschen darauf angesprochen haben. Aber ich wollte es nicht wahrhaben und habe nach Ausreden gesucht. In erster Linie mir selbst gegenüber, aber auch als Erklärung für meine Mitmenschen.
Ich werde halt älter. Menschen verändern sich. Interessen ändern sich. Ich habe diese Veränderungen gewollt. Ich hatte einen schlechten Tag. Die letzten Tage waren irgendwie stressig. Ärger auf der Arbeit. Mir steckt immer noch die letzte Erkältung in den Knochen. usw.

Der Zusammenbruch:
Irgendwann wurde das alles immer mehr und immer schlimmer. Ich habe nicht mehr gelebt, sondern nur noch existiert. Habe versucht allem und jedem gerecht zu werden, zu funktionieren und Erwartungen zu erfüllen. Mir waren so viele Dinge egal. All das, was da oben steht, und noch mehr hat auf mich gedrückt und auf mir gelastet.
Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, viele Kontakte abgebrochen, weil mir alles zu viel war. Ich wollte nur noch meine Ruhe und alleine sein.
Dann kam an einem wirklich miesen Tag der Anruf von einer Bekannten, ob ich ihr handwerklich behilflich sein kann, und zwar sofort. Ich habe mich überreden lassen und bin nach der Arbeit dort vorbeigefahren, um zu helfen. Ich habe versucht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Neben mir standen mehrere Leute und haben gleichzeitig miteinander und mit mir geredet. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Dazu noch jede Menge anderer Geräusche. Irgendwie die totale Reizüberflutung.
Und dann ist es passiert. Ich lag plötzlich auf dem Rasen und habe geheult. Ich wusste nicht mehr, wo ich war und was ich dort wollte. Ich wusste nicht mehr, wie das Werkzeug in meiner Hand heißt und was man damit macht.
Nach einer halben Stunde hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich wieder nach Hause fahren konnte. Und ich wusste, ich bin viel zu weit über meine Belastungsgrenze gegangen. Am nächsten Tag beim Arzt dann die Diagnose: BurnOut und depressive Episode. Das ist jetzt knapp 1,5 Jahre her. Mir geht es inzwischen etwas besser und ich habe viel über mich gelernt. Aber ich habe immer noch einen sehr weiten Weg vor mir.

1 Kommentar

  1. Sabine

    Danke.

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