Kurze Vorgeschichte:
Ich bin und war schon immer ein sehr strukturierter und organisierter Mensch. Keine Ahnung warum oder woher ich das habe, aber auf jeden Fall gibt es mir Halt und einen Sinn.
Mitte 2021 hat ein Ereignis meine Pläne und Strukturen sehr durcheinander gebracht. Knapp 1 Jahr später ist mir etwas widerfahren, was sich nicht planen, organisieren und strukturieren ließ. Trotzdem habe ich mich so sehr darauf fokussiert, dass ich alle meine Ziele, Pläne und Strukturen vollends über den Haufen geworfen habe.

Neben vielen anderen kleineren und größeren Faktoren, die im Rückblick schon sehr viel länger bestanden haben, haben diese beiden Dinge sehr dazu beigetragen, dass ich Mitte 2022 einen Zusammenbruch (BurnOut/Depression) erlitten habe. Also stand ich da, allein und am Boden zerstört, mit einer Belastungsgrenze nahe Null und einer emotionalen Schwelle, die kaum noch existent war.

Ein Leben ohne Struktur:
Für jemanden, der es gewohnt ist, alles zu planen, zu organisieren und zu strukturieren, plötzlich ohne all dies dazustehen, ist es wirklich sehr belastend durch den Tag zu kommen. Ohne morgens zu wissen, was ich den Tag über zu tun habe, geschweige denn, was mich morgen oder den Rest der Woche erwartet – das war früher für mich einfach undenkbar. Und nun musste ich irgendwie damit klarkommen.
Stellt Euch vor, morgens ganz alleine in einer fremden Stadt in einem fremden Land aufzuwachen, ohne einen Plan, in welcher Reihenfolge man seine Socken anzieht, geschweige denn, was sein Job ist und wie man den ausübt. Man weiß einfach nicht, was richtig und was falsch ist – und es ist keiner da, den man fragen kann.
Ungefähr so kam ich mir vor. Und wenn dann noch etwas dazwischen kommt, was man so nicht für möglich gehalten hat, dann ist man einfach verloren.

Eine neue Struktur entsteht:
Es ist wirklich nicht einfach, zu (über-)leben, wenn man nicht weiß wofür man lebt und wohin man will. Ich habe so gut wie es mir möglich war meine Kräfte zusammengenommen und habe mir eine neue Struktur geschaffen. Erstmal wirklich nur eine, ich wollte keinen neuen Zusammenbruch. Die Grundlagen (Aufstehen, Körperpflege und Essen) habe ich auf die Reihe bekommen, also habe ich mich auf den Haushalt fokussiert. Jeden Samstag in einer festen Reihenfolge, Küche aufräumen, Wäsche waschen, Bad putzen, Staubsaugen, Wischen; zwischendurch aufräumen, Müll raus bringen, Kleinigkeiten.
Das habe ich durchgezogen, auch wenn es mir nicht immer leicht fiel und auch oft genug keinen Spaß gemacht hat. Aber ich hatte eine Struktur, an der mich entlang hangeln konnte und es hat mich mit Befriedigung erfüllt.
Im Laufe der Zeit kamen dann ein paar andere Dinge hinzu. Regelmäßig zur Arbeit gehen, fest geplante Spaziergänge, und eine Morgenroutine mit SocialMedia (grade das hat mir sehr gut getan). Aber das ist jetzt der Status Quo, bei dem ich schon so lange auf der Stelle trete, von ein paar kleinen „Projekten“ zwischendurch mal abgesehen. Ich hab gedacht, das spielt sich im Laufe der Zeit alles irgendwie wieder ein. Aber das tat es nicht.

Auf der Stelle treten:
Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ohne Vorgaben komme ich nicht zurecht. Auf der Arbeit habe ich vorgegebene Strukturen und komme damit gut klar. Aber zu Hause bzw. im privaten Bereich, bekomme ich ohne Planung und Struktur nichts auf die Reihe. Ich stehe da und denke stundenlang darüber nach, wie ich etwas in welcher Reihenfolge erledige, was ich alles dazu brauche und was evtl. schief gehen könnte. Dann gebe ich auf, weil mir die Zeit davon läuft und ich mich gedanklich in zu vielen Details und Kleinigkeiten verliere, ohne auch nur einen Handschlag zu tun. Es spielt sich gar nichts (oder nur sehr wenig) mit der Zeit von selber ein. Grundlagen, Arbeit und Haushalts-Samstag laufen wunderbar – mehr aber auch nicht.

Ich muss handeln:
Wenn es sich also nicht von alleine wieder einspielt, muss ich die Sache selber in die Hand nehmen. Ich habe mich also hingesetzt und sehr lange sehr intensiv darüber nachgedacht, wie ich das früher alles gemacht habe. Es ist eigentlich ganz einfach: Ziel setzen und klar definieren. Einen Plan erarbeiten, wie das Ziel zu erreichen ist und welche Hindernisse dabei auftreten können. Das ganze in viele kleine einzelne Aufgaben zerlegen und diese in den Tagesablauf rein-strukturieren.
Natürlich brauche und habe ich mehr als nur ein Ziel. Es gibt kleine, große, langfristige und kurzfristige. Daraus resultieren eine Menge Pläne mit noch viel mehr Einzelaufgaben. Prioritäten setzten und dementsprechend mehrere kleine und kleinste Aufgabenhäppchen in die tägliche Struktur bringen.
Für so ein paar Dinge habe ich das schon recht ausführlich ausgearbeitet und auch angefangen, es in die Tat umzusetzen. Und es gefällt mir und tut mir gut.

Ein Leben mit Struktur:
Ich fange wieder an einen Sinn in meinem Leben zu sehen. Ich habe eine ToDo-Liste, die bereits 4 Wochen in die Zukunft reicht und für jeden Tag zwischen 5 und 30 kleine Aufgaben für mich vorsieht. Das ist das, was ich brauche und was ich früher schon immer gebraucht habe. Vielleicht ist es eine Art Zwangsstörung oder eine Form von Autismus – keine Ahnung.
Ich habe wieder eine Struktur, auch wenn meine tägliche Liste derzeit unter anderem noch Dinge umfasst wie z.B. ins Bad zu gehen, meine Arbeitsbrote zu schmieren oder in den Briefkasten zu schauen. Aber auch 1 Küchenschrank aufzuräumen, 1 Fach im Kleiderschrank zu sortieren oder am Auto die Fenster zu putzen.

Mehr Flexibilität durch Struktur:
Ich weiß, es mag paradox klingen, aber durch meine mir selbst vorgegebenen Strukturen, die eher aussehen als wäre mein Tag minutiös durchgeplant, habe ich tatsächlich mehr Flexibilität, weniger Druck und Unvorhergesehenes bringt mich nicht so schnell aus der Bahn. Das liegt an diesen vielen kleinen Aufgabenhäppchen, die alle eine Priorität haben. Zum Beispiel ist es dem Fach im Kleiderschrank ziemlich egal, ob es heute, morgen oder nächste Woche durch sortiert wird. Mir ist nur wichtig, dass es bis Termin X fertig ist, und der liegt weit in der Zukunft. Wenn mir also heute nicht danach ist, mir dir Kraft dazu fehlt, etwas anderes mehr Aufmerksamkeit bedarf oder gar etwas dazwischen kommt, kann ich diese kleine Teilaufgabe ganz einfach auf morgen verschieben und in der Priorität höher gewichten und in ein oder zwei Wochen steht das soweit oben auf meine Liste, dass es auf jeden Fall erledigt wird.

Nur nicht übertreiben:
Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht gut für mich und mein niedriges Belastungslevel ist, gleich von 0 auf 100 voll durchzustarteten und so viel wie möglich so schnell wie möglich zu erledigen. Darum habe ich auch ganz bewusst eben solche Kleinigkeiten wie nach der Post zu schauen mit aufgenommen und die Aufgaben extra klein gehalten. Ich sehe auch zu, dass immer noch etwas Luft da ist, damit es nicht zu stressig wird und ich auch ganz bequem mal etwas einfügen kann, wozu ich am Vortag nicht gekommen bin. Und was für mich noch ein wenig ungewohnt ist, an einem Tag in der Woche plane ich mir explizit keine anderen Aufgaben als die absoluten Grundlagen ein. Ein „Ruhetag“ sozusagen.
Ich lasse es langsam angehen und lote nach und nach meine Belastungsfähigkeit aus.

Darum ist eines meiner größten Ziele für dieses Jahr, meine Strukturen zu festigen und weitere zu schaffen, um meine Stressresistenz weiter zu steigern. Aber immer mit Blick und Nachsicht auf mich selber – ich will keinen weiteren Zusammenbruch erleben, aber ich will auch nicht weiterhin nur von einem zum nächsten Tag leben/existieren.